Der Rhythmus der Fremde – wie neue Orte unseren Takt verändern
- Özlem
- 22. Aug.
- 2 Min. Lesezeit

Unterwegs verändert sich Zeit. Sie wird weicher, biegsamer, entzieht sich dem strengen Raster, das wir von zuhause kennen. Keine Uhr, die den Tag zerlegt, keine gewohnte Abfolge von Wegen und Aufgaben. Stattdessen andere Geräusche, andere Gerüche, andere Bewegungen, die den Ton angeben.
Am Meer ist es das Kommen und Gehen der Wellen, das meinen Schritt verlangsamt, als würde das Wasser selbst einatmen und wieder ausatmen – und ich gehe unwillkürlich mit, bis auch mein Körper langsamer wird. In einer Stadt hingegen drängen Stimmen, Lichter, Bewegungen auf engem Raum. Alles pulsiert schneller, und ich merke, wie ich selbst in ein fremdes Tempo gezogen werde, ohne es bewusst zu wollen. Auf einem Feldweg irgendwo im Nirgendwo reicht manchmal schon das Summen von Grillen, um Stunden in eine stille Dehnung zu verwandeln, in der nichts außer dieser Melodie zu existieren scheint.
Dann der Abend: wenn das Licht weicher wird und die Stimmen gedämpfter, verändert sich alles. Plötzlich verlangsamt sich der Atem. Grillgeruch von Nachbarn zieht herüber, irgendwo läuft ein Radio, dessen Sprache wir nicht verstehen. Fremde Stimmen im Dunkeln, die uns dennoch nah wirken. Es ist, als würde die Welt ein Stück leiser werden – und gleichzeitig so voller Leben. In solchen Momenten spüren wir, wie sehr wir Teil von etwas sind, das größer ist als wir selbst.
Und dann gibt es diese Augenblicke des Anhaltens. Eigentlich wollten wir „noch ein Stück weiterfahren“. Doch ein kleiner See am Wegesrand, ein unscheinbarer Feldweg, ein Blick auf die untergehende Sonne hält uns auf. Wir steigen aus, ohne nachzudenken, und merken: genau hier, genau jetzt – das ist es. Nichts Geplantes, nichts Abgehaktes. Einfach ein Innehalten, das den Tag vollkommen macht.
Es ist erstaunlich, wie Orte unseren inneren Takt verschieben können. Plötzlich essen wir später, schlafen früher, bleiben länger an einem Platz stehen – weil die Sonne so schön auf eine Wiese fällt, weil das Licht zwischen den Bäumen ein Muster wirft, das man nicht übersehen kann. Die Fremde zwingt uns nicht, sie drängt nichts auf. Sie lädt uns ein, sich in ihr auszuruhen oder in ihr aufzuwachen, je nachdem, was sie gerade schenkt.
Das Reisen schenkt uns die Freiheit, den eigenen Takt loszulassen und den Klang der Fremde in sich aufzunehmen. So wird aus jedem Ort eine Melodie, die eine Weile in uns nachhallt – manchmal leise wie ein kaum gehörtes Echo, manchmal stark wie ein Schlag, der uns noch lange begleitet.





Kommentare