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Heimat auf Zeit

  • Özlem
  • vor 1 Tag
  • 3 Min. Lesezeit

Zwischen Wiedersehen und Fernweh

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Nach fünf Monaten unterwegs fühlt sich die Rückkehr nicht wie Ankommen an – eher wie ein vorsichtiges Durchatmen in einem Raum, der einmal selbstverständlich war. Der Regen fällt schwer vom Himmel, als wolle er all die Tage abwaschen, die wir woanders verbracht haben. Minusgrade legen sich auf die Schultern, kriechen durch jede Schicht, bis in die Gedanken. Und irgendwo zwischen Kälte und Nässe frage ich mich: Bin ich noch dieselbe, die hier einmal gelebt hat?


Die Straßen sehen vertraut aus, die Supermärkte, die Ampeln, die Häuser mit ihren gleichmäßigen Fenstern. Alles ist noch da. Und doch fehlt etwas.

Oder bin ich es, die fehlt?


Freunde wiederzusehen ist wunderschön – und gleichzeitig seltsam. Da sind Umarmungen, ehrliches Lächeln, Freude in den Augen. Und dann diese unsichtbare Linie, die plötzlich zwischen uns liegt. Sie haben Geburtstage gefeiert, Krisen, Routinen, neue Jobs, alte Sorgen. Ihr Leben ist weitergegangen, still und stet, während unseres sich Tag für Tag auf Rädern verändert hat.


Ich höre ihren Geschichten zu, aufmerksam und echt interessiert. Und trotzdem fühlt es sich manchmal an, als würde ich durch ein Fenster in ein Leben schauen, das einmal auch meines war. Die Gespräche drehen sich um Termine, Verpflichtungen, Versicherungen, Renovierungspläne, um Stabilität und Absicherung. Worte wie „später“, „wenn wir mal Zeit haben“, „irgendwann“. Und in mir wird jedes „irgendwann“ ein leiser Widerstand. Weil mein jetziges Leben aus lauter Jetzt-Momenten besteht. Aus Entscheidungen, die nicht aufgeschoben werden, sondern passieren müssen.


Manche Begegnungen fühlen sich leicht an – vertraut, warm, verbunden trotz der Distanz. Andere sind schwerer. Als läge da etwas Ungesagtes zwischen uns. Vielleicht Unsicherheit. Vielleicht Unverständnis. Vielleicht auch einfach das Gefühl, sich ein wenig verloren zu haben im Leben des anderen. Nicht aus Mangel an Liebe, sondern weil sich Wege verschoben haben, leise, fast unbemerkt.


Und dann gibt es diese stillen, kostbaren Augenblicke, die sich wie Heimat anfühlen, ohne dass ich sie so benennen muss.

Gemeinsamer Kaffee am Tisch. Vertraute Gesichter, Familie. Mein Sohn neben mir, seine Freundin, mein Neffe. Erwachsene Menschen, mit eigenen Gedanken, eigenen Wegen, eigenen Leben. Und doch dieses unsichtbare Band, das sich nicht auflöst, egal wie weit ich mich entferne.


Wir gehen spazieren, sitzen in Cafés, bummeln durch vertraute Straßen, die sich plötzlich wie Kulissen anfühlen – und gerade deshalb bewusst wahrgenommen werden. In diesen Momenten wird die Zeit weich. Sie drängt nicht, sie zieht nicht. Sie sitzt einfach mit uns am Tisch.


Ich höre zu, sehe zu, sauge kleine Gesten in mich auf – das Lachen, die Pausen zwischen den Sätzen, die Art, wie Tassen abgestellt werden, wie Geschichten beginnen und enden. All das speichere ich irgendwo tief in mir ab. Für später. Für unterwegs. Für die Tage, an denen mir etwas fehlen wird, das ich nicht greifen kann.


Vielleicht ist das mein tiefstes Gefühl von Heimat: nicht das Bleiben, sondern das Teilen. Nicht die Dauer, sondern die Dichte. Nicht das „für immer“, sondern das „jetzt, genau hier, mit euch“.


Und trotzdem weiß ich: Ich bin hier auf Besuch. Auf Zeit. Mein Herz schlägt noch immer in einem anderen Rhythmus. In einem, der vom Morgenlicht auf fremden Plätzen erzählt, vom Geräusch des Meeres hinter dünnen Wänden, vom Gefühl, nicht zu wissen, wo man morgen aufwacht.

Heimat fühlt sich jetzt an wie ein leiser Zwischenraum. Wie das Innehalten zwischen zwei Atemzügen. Kostbar. Weh. Schön. Und ein wenig schmerzhaft zugleich.

Ich bin hier, um zu umarmen, um zu lauschen, um mich zu erinnern. Und um zu spüren, dass ich ein Zuhause in Menschen habe – selbst wenn mein Leben längst wieder weiterzieht.

 
 
 

1 Kommentar

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Jojo
vor einem Tag
Mit 5 von 5 Sternen bewertet.

Du beschreibst es so anschaulich und die Gefühlstiefe in Dir wird sichtbarer. Trotz den wenigen Begegnungen mit Dir und der Distanz kann ich Nähe zu Deinem Leben fühlen.

Macht so weiter! Viele schöne Begegnungen und besinnliche Adventszeit wünscht euch Jojo

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Über uns

Wir sind zwei Menschen, ein Hund und ein Gefühl.

Ein Gefühl, das irgendwann zu laut wurde, um es zu ignorieren.  Mit dem Wunsch, das Leben nicht länger aufzuschieben – sondern es wirklich zu leben.

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