Zwischen Fürsorge und Selbstaufgabe
- Özlem
- 10. Sept.
- 2 Min. Lesezeit

Wir alle wachsen mit der stillen Erwartung auf, füreinander da zu sein. Familie, Freundschaft, Nähe – all das bedeutet doch Verantwortung. Aber irgendwann stellt sich eine Frage, die kaum jemand gerne laut ausspricht: Wie weit reicht diese Verpflichtung?
Wenn ein Mensch, der uns nahesteht, schwächer wird, entsteht ein Spannungsfeld. Auf der einen Seite die Liebe, die sagt: Ich will dich halten. Auf der anderen Seite die innere Stimme, die flüstert: Ich kann nicht mehr.
Es gibt einen Unterschied zwischen Fürsorge und Selbstaufgabe.
Fürsorge bedeutet, jemandem beizustehen, ohne sich selbst zu verlieren.
Selbstaufgabe beginnt dort, wo wir uns nicht mehr spüren, wo eigene Bedürfnisse verschwinden, wo Erschöpfung, Leere oder Bitterkeit zurückbleiben.
Gesunder Egoismus klingt oft hart, fast wie ein Verrat. Doch vielleicht ist er nichts anderes als Ehrlichkeit – die Einsicht, dass wir nur dann gut für andere sorgen können, wenn wir auch für uns selbst sorgen.
Und was, wenn die eigene Kraft nicht reicht?
Ist es dann falsch, Verantwortung an die Gemeinschaft abzugeben – an Pflegekräfte, soziale Einrichtungen, an das System, das genau dafür geschaffen ist? Oder ist es nicht vielmehr ein Ausdruck von Liebe, Hilfe dorthin zu legen, wo sie professionell und dauerhaft möglich ist?
Vielleicht haben wir ein falsches Bild von Pflicht.
Pflicht heißt nicht, alles allein zu schultern.
Pflicht heißt, nicht gleichgültig zu sein.
Es heißt, hinzusehen, Lösungen zu suchen, präsent zu bleiben – und zugleich die eigenen Grenzen zu achten.
Am Ende ist Fürsorge kein Alles-oder-Nichts. Sie ist ein Balanceakt zwischen Nähe und Loslassen, zwischen Verantwortung und Freiheit. Wahre Liebe zeigt sich vielleicht nicht im Aufopfern, sondern darin, Wege zu finden, dass niemand verloren geht – weder der, der Hilfe braucht, noch der, der helfen will.





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